Legend - Fallender Himmel by Marie Lu

Legend - Fallender Himmel by Marie Lu

Autor:Marie Lu [Lu, Marie]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Loewe
veröffentlicht: 2012-12-05T17:00:00+00:00


DAY

Normalerweise bin ich froh über die Menschenmassen in den Straßen von Lake. Man kann leicht hinein- und wieder hinausschlüpfen, um Leute, die einem auf den Fersen oder auf Ärger aus sind, abzuschütteln. Ich kann gar nicht zählen, wie oft ich die überlaufenen Straßen schon zu meinem Vorteil genutzt habe. Heute aber halten sie mich nur auf. Trotz der Abkürzung am Seeufer entlang bin ich den Sirenen nur ein kleines Stückchen voraus und habe keine Möglichkeit mehr, den Vorsprung zu vergrößern, bevor ich das Haus meiner Familie erreiche.

Ich werde nicht genug Zeit haben, sie in Sicherheit zu bringen. Aber ich muss es versuchen. Ich muss vor den Soldaten bei ihnen sein.

Hin und wieder bleibe ich stehen, um zu prüfen, ob die Wagen sich noch immer in dieselbe Richtung bewegen wie ich. Wie zu erwarten, fahren sie schnurstracks in die Richtung, in der unser Haus liegt. Ich renne schneller. Ich bleibe noch nicht mal stehen, als ich aus Versehen mit einem alten Mann zusammenstoße. Er stolpert und stürzt auf den Bürgersteig. »’tschuldigung!«, rufe ich ihm zu. Ich höre, wie er mir etwas hinterherschreit, aber ich darf keine Zeit verschwenden und drehe mich nicht noch einmal nach ihm um.

Als ich an unserem Haus ankomme, das ruhig daliegt und noch immer mit Absperrband als Quarantänezone gekennzeichnet ist, bin ich schweißgebadet. Ich husche hinten herum durch die Gassen, bis ich unseren verfallenen Gartenzaun erreiche. Dann schlüpfe ich durch ein Loch zwischen den Latten, schiebe das lose Brett beiseite und krieche unter die Veranda. Die Seeschlüsselblumen, die ich unter dem Lüftungsschacht zurückgelassen habe, liegen unberührt da, aber sie sind jetzt welk und vertrocknet.

Durch die Ritzen im Boden sehe ich meine Mutter an Edens Bett sitzen. Daneben wringt John gerade einen Waschlappen über einer Schüssel aus. Mein Blick fliegt zu Eden. Er sieht schlechter aus - als wäre seinem Gesicht jegliche Farbe entzogen worden. Sein Atem geht flach und rasselnd, so laut, dass ich ihn bis hier unten hören kann.

Mein Verstand schreit nach einer Lösung. Ich könnte John, Eden und meine Mutter jetzt gleich zur Flucht drängen, auf die Gefahr hin, dass wir dem Seuchentrupp oder der Straßenpolizei in die Arme laufen. Vielleicht könnten wir uns in eins der Verstecke flüchten, wo Tess und ich normalerweise untertauchen. John und meine Mutter wären sicher kräftig genug, um zu fliehen. Aber wie sollte Eden mit uns mithalten? John könnte ihn höchstens tragen. Vielleicht ließe sich ein Weg finden, sie in einen Güterzug zu schmuggeln und ihnen so zur Flucht ins Innere des Landes zu verhelfen, irgendwohin ... ich weiß es nicht. Wenn die Seuchenpolizei ohnehin schon hinter Eden her ist, würde es die Sache auch nicht mehr schlimmer machen, wenn John und Mom ihre Jobs hinwerfen und abhauen würden. Sie stehen ja sowieso unter Quarantäne. Ich könnte ihnen helfen, nach Arizona zu gelangen oder nach Westtexas, und vielleicht würde die Polizei dann irgendwann aufhören, nach ihnen zu suchen. Außerdem, vielleicht ist das Ganze auch totaler Quatsch, vielleicht hat das Mädchen sich geirrt und die Soldaten sind überhaupt nicht zu meiner Familie unterwegs.



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